Ok, wo anfangen und wo aufhören bei so einem unglaublich unverschämten Beitrag wie dem über mir. Ich denke du weißt inzwischen, was whataboutism ist
@kingpin68? Weißt du auch, was
derailing bedeutet?
Ich muss echt aufpassen, dass ich nicht direkt zu Beginn meines Beitrags richtig ungehalten werde, weil eine solche Antwort auf Zerfikkas Beitrag kann man nur bringen, wenn man das Vorgehen der Polizisten im Video entschuldigen möchte, wenn nicht sogar gutheißt.
Was soll diese absolut unpassende Bemerkung, dass es Polizisten in Amerika ach so schwer haben? Was hat das mit dieser Szene zu tun?
Nichts, absolut nichts, gar nichts, überhaupt nichts!
Das Verhalten in dem Video ist schlicht skandalös (auch wenn es entgegen des Wortsinns nicht zum Skandal taugt, weil diese Bilder viel zu alltäglich sind und alle sich daran gewöhnt haben, dass die Polizei nicht auf der Seite derer steht, die sie eigentlich beschützen soll). Nichts an dem Vorgehen der Polizisten ist entschuldbar. Der Mann wurde angehalten, weil er aufgrund eines Neuwagenkaufs ein temporäres Nummernschuld hatte. Ein zulässiges obendrein - und dieser Einwurf ist schon ein Zugeständis an all die Leute, die glauben die Polizei könne machen was sie wolle, solange sie nur einen begründeten Verdacht auf eine Straftat hätte.
Der Mann sagt, er habe Angst aus dem Auto zu steigen - was angesichts der Umstände, die wir alle kennen, eine berechtigte Sorge ist. Er zeigt seine beiden Hände, es besteht kein Grund anzunehmen, dass von dem Mann eine Gefahr ausgeht. Er verlangt wiederholt, dass man ihm erklären möge, warum so mit ihm umgegangen wird. Nicht nur aus menschlicher Sicht nachvollziehbar, ich könnte mir sogar vorstellen, dass es dafür eine rechtliche Grundlage gibt.
Die Polizisten schalten ab einem gewissen Zeitpunkt ihre body cams aus - ein Vorgehen, dass so illegal wie dennoch gebräuchlich ist.
Die Aussage, die am meisten schockiert ist die Antwort eines der beiden Polizisten, dass der Mann
zurecht Angst hätte aus dem Wagen zu steigen.
Alles in allem verdichtet sich in diesem Video also ziemlich viel, was es an der Polizei im Generellen zu kritisieren gibt. Es gibt einen eindeutig übergriffigen Polizisten, der nicht nur seine Macht missbraucht, sondern diese auch noch gegen den Menschen wendet, der von ihm eigentlich Schutz erwarten können sollte - und der ihn dazu auch demokratisch legitimiert hat. Wir sehen außerdem einen zweiten Polizisten, der augenscheinlich überfordert nicht voll und ganz hinter dem Vorgehen des Kollegen steht, aber nicht in der Lage zu sein scheint, seinem Kollegen Einhalt zu gebieten. Vielmehr macht er sich durch eben dieses letztendlich komplizenhafte Verhalten mitschuldig.
Und damit sind wir bei dem Problem, dass es keine "guten" Polizisten gibt, solange sie nicht die "bösen" Polizisten hindern können.
Genau das ist eben der Grund, warum das "es gibt aber auch gute Polizisten"-Narrativ letztlich nur eine wirkliche Aufklärung und wie auch immer gestaltete Reformierung der Polizei verhindert.
Nochnmal: Wer diese Punkte nicht anerkennt und offenbar nicht für kritsierenswürdig hält, sondern sich als erste Reaktion dazu bemüßig fühlt ganz andere Sachen zu kritisieren, die mit diesem Video aber gar nicht aufgeworfen werden... derjenige hat echt den Schuss nicht mehr gehört (und das ist ein Euphemismus, das ist hoffentlich klar).
Und obwohl das an dieser Stelle gar nicht diskutiert werden müsste und sollte will ich dennoch kurz darauf eingehen.
- "In den USA möchte ich auch kein Polizist sein"
Wenn du es nicht schaffst, unter den gegebenen Umständen ein guter Polizist zu sein (oder eine gute Polizistin) - dann lass es einfach. Niemand wird gezwungen zur Polizei zu gehen. Das ist kein Schritt, der mit Mitleid verbunden ist. Das ist eine aktive Entscheidung und mit dieser Entscheidung muss man leben - und dazu gehört Rechenschaft darüber abzulegen, was du tust.
- "Hohe Kriminalitätsrate, massenweise Waffen im Umlauf, man muss ständig mit rechnen, dass jemand eine Waffe zieht"
Die Kriminalitätsrate ist eine Größe, die im wesentlichen von der Polizei abhängig ist. Die Kriminalitätsrate als Kennzahl erfasster Straftaten ist eine höchst politische Zahl. Sie geht im Wesentlichen von der Arbeit der Polizei aus. Sie ist gleichzeitig Zeugnis und Legitimation von Polizeiarbeit - und wird in beiden Fällen idR pro Polizei ausgelegt:
- Die Kriminalitätsrate sinkt --> die Polizei macht ihre Arbeit, wir brauchen die Polizei, mehr Polizei bedeutet mehr Sicherheit
- Die Kriminalitätsrate steigt --> es gibt mehr Verbrechen, wir brauchen also mehr Polizei um das gestiegene Verbrechen zu bekämpfen, mehr Polizei bedeutet mehr Sicherheit
Und dann haben wir natürlich noch das große Problem, das in dieser Statistik eines nicht auftaucht (oder in einer vernachlässigbaren Größe): nämlich die Verbrechen, die von der Polizei selbst ausgehen.
Ich kann da z.B. auf
meinen Beitrag aus dem Januar verweisen. Und das selbe Problem haben wir bei uns selbstverständlich auch: Vor einigen Wochen gab es die Anschuldigung, ein jüdischer Mensch wäre bei einer Polizeikontrolle nach seinem "Judenausweis" gefragt worden. Die Reaktion der Polizei war nun, dass alle Kolleg*innen des beschuldigten Polizisten Gegenanzeige erstattet haben, Überraschung:
Frankfurter Polizisten bestreiten Frage nach "Judenausweis" (hessenschau)
Das nur mal als ein Beispiel.
- "Eine vernünftige Ausbildung gibt es auch nicht, was will man da erwarten"
Ich finde es bezeichnend, dass das von einer bestimmten Seite hier als entschuldigendes Argument angeführt wird für polizeiliches Fehlverhalten; also sozusagen dazu genutzt wird um nicht die Staatsgewalt kritisieren zu müssen, sondern den Menschen (mit seinen Gefühlen und menschlichen Schwächen) hinter der Uniform hervorzuholen.
Die gleiche Seite erkennt es aber nicht als Argument an, wenn man Kriminalität und deviantes Verhalten als Folge bestimmter sozialer Bedingungen versucht erklär- und verstehbar zu machen. Wenn jemand also seine seine Kindheit und Jugend - also die Phase seines oder ihres Lebens, in der er oder sie am meisten Unterstützung nötig hat und in der sich Persönlichkeit und Psyche in der Entwicklung befinden - in schwierigen/kriminellen/gewaltsamen Verhältnissen verbringt, dann zählt all das nicht, wenn er oder sie selbst kriminell wird.
Aber wenn Erwachsene Menschen, die sich bewusst dazu entscheiden Polizist*in zu werden, als Staatsgewalt in Erscheinung treten, dann hat man auf einmal die Entschuldigung parat, dass sie eben nicht gut ausgebildet sind, sie also nichts dafür können wenn sie in gewissen Situationen überfordert sind?
Das ist per se schonmal eine unglaublich zynische Argumentation, aber sie wird nochmal absurder, wenn man bedenkt, dass das Budget der US-Polizei vermutlich mit weitem Abstand das höchse auf der ganzen Welt ist. Wenn man also sogar anerkennt, dass die Polizei als Institution es nicht schafft trotz bester Voraussetzungen (hochentwickeltes Land, führender Wissenschaftsstandort, unermessliches finanzielles Budget etc.) Polizist*innen hervorzubringen, die ihre eigenen Bürger*innen beschützt statt bedroht - welch stärkeres Argument kann es denn gegen die Polizei geben? Wie kann man denn in dieser Logik nicht die Bewegungen
defund the police oder
abolish the police unterstützen?
Das Springer-Video rundet den Beitrag natürlich noch ab. Dazu gilt es generell zu bedenken: Jede Dokumentation
über die Polizei ist PR
für die Polizei.